Preisverleihung 14. Oktober 2024
Preisverleihung 14. Oktober 2024
Peter hat eine Tochter, aber das Sorgerecht für sie hat er nicht. Annika war zwei, als er und ihre Mutter sich trennten. Seitdem gerät jede elterliche Absprache zum Machtkampf um die inzwischen dreizehnjährige Annika. Ein Silvesterurlaub auf Sylt wird für Vater und Tochter zur entscheidenden Probe auf ihre Liebe. Die Reise auf die Insel ist für den Verlagsvertreter Peter auch eine Rückkehr in Landschaften der Vergangenheit. Hier hat er die Sommer seiner Kindheit verbracht, als seine Mutter in einer Buchhandlung in Kampen arbeitete. Die Spaziergänge am Strand, die alte Kirche von Keitum, der Leuchtturm rufen Erinnerungen in ihm wach. Zum ersten Mal versucht er, seiner Tochter von sich zu erzählen. Er begegnet Susanne wieder, einer Freundin aus der Schulzeit, mittlerweile verheiratet und Mutter zweier Kinder. Und er muss erleben, dass er auf die Väter der scheinbar heilen Familien, die diese Ferien zusammen verbringen, wie ein Menetekel wirkt.
Niklas Kalf schreibt eine Biografie über den jüdischen Emigranten Eugen Meerkaz und reist 2002 mit seiner Frau Liz nach New York. Kurz nach der Ankunft wird Liz entführt, und man erpresst Kalf, ein Geheimnis über Meerkaz aufzudecken. Kalfs Suche nach der Wahrheit wird zur Reise ins Innere der USA kurz vor dem Irak-Krieg. Zugleich beginnt Kalf in der Fremde zu begreifen, was bleibt, wenn nichts mehr sicher ist.
Ein Autor verliert sich ein einem Entführungsfall – und in den Abgründen der USA. Hettche spielt dabei mit verschiedenen literarischen Motiven: dem amerikanischen Thriller, dem typisch-deutschen passiven Held. Sein Roman über das Verhältnis zwischen Amerika und dem „alten Europa“ wird sicher viele Leser aufregen, da in ihm das Verhältnis von deutscher Intellektualität und amerikanischer Wirklichkeit neu gespiegelt und gesehen wird.
Die Pfaueninsel in der Havel ist ein künstliches Paradies. Der Roman beginnt wie ein Märchen: mit einer Königin, die einen Zwerg trifft und sich fürchterlich erschrickt. Am Beispiel der kleinwüchsigen Marie, die zwischen den Befreiungskriegen und der Restauration, zwischen Palmenhaus und Menagerie, Gartenkunst und philosophischen Gesprächen aufwächst und der königlichen Familie bei deren Besuchen zur Hand geht, erzählt Thomas Hettche von der Zurichtung der Natur, der Würde des Menschen, dem Wesen der Zeit und der Empfindsamkeit der Seele und des Leibes.
Seit seinem Debüt „Ludwig muß sterben“ von 1989 als Avantgardist gerühmt, erweist sich Thomas Hettche mit seinem Roman „Pfaueninsel“ erneut als einer der elegantesten und raffiniertesten Stilisten der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Wie Maria Dorothea Strakon, das historisch überlieferte preußische Schlossfräulein der Pfaueninsel bei Berlin, mit Lust seine Festtagsgewänder anlegte, so schlüpft Hettche in ein vollendetes Sprachkleid aus dem 19. Jahrhundert. Anhand der anrührenden Lebensgeschichte der kleinwüchsigen Marie lässt er ein ganzes Jahrhundert vom ausklingenden Rokoko bis zur Erfindung der Eisenbahn, von Hegel über Darwin bis Lenné, Revue passieren. Botanik und Sentiment, Theorie und Sinnlichkeit gehen in „Pfaueninsel“ eine Verbindung ein, die auf unerwartete Weise das Heute spiegelt und die Leserin, den Leser einer literarischen Osmose sondergleichen unterzieht.
Ein großer Roman über ein kleines Theater: die Augsburger Puppenkiste. Ein zwölfjähriges Mädchen gerät nach einer Vorstellung der Augsburger Puppenkiste durch eine verborgene Tür auf einen märchenhaften Dachboden, auf dem viele Freunde warten: die Prinzessin Li Si, Kater Mikesch, Lukas, der Lokomotivführer. Vor allem aber die Frau, die all diese Marionetten geschnitzt hat und nun ihre Geschichte erzählt. Es ist die Geschichte eines einmaligen Theaters und der Familie, die es gegründet und berühmt gemacht hat. Sie beginnt im 2. Weltkrieg, als Walter Oehmichen, ein Schauspieler des Augsburger Stadttheaters, in der Gefangenschaft einen Puppenschnitzer kennenlernt und für die eigene Familie ein Marionettentheater baut. In der Bombennacht 1944 verbrennt es zu Schutt und Asche. "Herzfaden" erzählt von der Kraft der Fantasie in dunkler Zeit und von der Wiedergeburt dieses Theaters. Nach dem Krieg gibt Walters Tochter Hatü in der Augsburger Puppenkiste Waisenkindern wie dem Urmel und kleinen Helden wie Kalle Wirsch ein Gesicht. Generationen von Kindern sind mit ihren Marionetten aufgewachsen. Die Augsburger Puppenkiste gehört zur DNA dieses Landes, seit in der ersten TV-Serie im westdeutschen Fernsehen erstmals Jim Knopf auf den Bildschirmen erschien.
Leichthändig und elegant verwebt dieser Roman große Themen der Gegenwart und der deutschen Vergangenheit. Von einem verzauberten Dachboden aus führt er uns in die Welt der Holzmarionetten, in den Zweiten Weltkrieg, in die westdeutsche Nachkriegszeit, zum Verlust von Unschuld und dem Ende der Kindheit. Er handelt von der Fantasie und ihrer Rückeroberung – und Thomas Hettche gelingt dabei ein Stück Illusionskunst, die so spielerisch und melancholisch ist, wie jene, von der dieser Roman selbst so beeindruckend erzählt.