Preisverleihung 14. Oktober 2024
Preisverleihung 14. Oktober 2024
Roman des Jahres, Shortlist, Longlist und die Jury des Deutschen Buchpreises von 2021.
August 1962, in der niedersächsischen Provinz: Seit Jahren richtet Gerda Derking die Toten des Dorfes her, doch dann steht Wilhelm Leeb vor ihrer Tür. Wilhelm, der Gerda vor so vielen Jahren sitzen ließ, um sich die Tochter von Bauer Kruse mit der hohen Mitgift zu sichern. Der als überzeugter Nazi in den Krieg zog und erst nach Jahren der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Nun zeichnet sich auf seinem Gesicht ein Schmerz ab, der über das Erträgliche hinausgeht. Gerda ahnt: Dieser Tragödie sind die Leebs ohne sie nicht gewachsen.
Seit ihrer gemeinsamen Jugend in der Siedlung verbindet die drei Kameradinnen eine tiefe Freundschaft. Nach Jahren treffen sie sich wieder, um an die alten Zeiten anzuknüpfen. Doch egal wo, immer wird deutlich, dass sie nicht abschütteln können, was jetzt so oft ihren Alltag bestimmt: die Blicke, die Sprüche, Hass und rechter Terror. Was es heißt, aufgrund der eigenen Herkunft ständig infrage gestellt zu werden, aber auch, wie sich Gewalt und Hetze mit Solidarität begegnen lässt, erzählt Shida Bazyar kompromisslos, anklagend und voller Wucht.
Der deutsche Logiker Gerhard Gentzen zählte zu den genialsten seines Fachs. Ein Roman auf der Suche nach der Grundlage unseres heutigen Lebens: der schier unendlich scheinenden Rechenleistung der Computer. Sie ermöglicht Flugbuchungen, die Verteilung von Impfstoffen oder Hilfsgütern, die Steuerung der Atomwaffenarsenale oder die detaillierte Abbildung eines Lebens in den sozialen Medien, die es nicht gäbe, wenn Programme nicht die Funktionsweise von Programmen überprüfen könnten. Dass sie das können, hat wiederum mit Gerhard Gentzen zu tun.
Ferdinand Desoto hatte Pizarro nach Peru begleitet, dem Inkakönig Schach und Spanisch beigebracht, dessen Schwester geschwängert und mit dem Sklavenhandel ein Vermögen gemacht. Er war bereits berühmt, als er 1538 eine große Expedition nach Florida startete, die eine einzige Spur der Verwüstung durch den Süden Amerikas zog. Knapp 500 Jahre später klagt ein New Yorker Anwalt im Namen aller indigenen Stämme auf Rückgabe der gesamten USA an die Ureinwohner.
Verbunden einerseits durch das gemeinsame Schicksal von Bedrohung, Flucht und Heimatlosigkeit, lebt Georges-Arthur zwischen den Sprachen und mit den Worten, während sein Bruder Erich sich der Résistance anschließt und für die Befreiung von Paris kämpft. Über Jahrzehnte hält der Autor die Erinnerung an den Bruder zurück, bis ein Geburtstagsbrief zum Anlass wird, das Leben von Erich erneut aufsteigen zu lassen. Ein bewegendes literarisches Dokument des Nachfühlens und Nacherzählens eines versperrten Lebensweges.
Eine junge Bukarester Malerin kehrt an den Ferienort ihrer Kindheit in den rumänischen Karpaten zurück. In der Kleinstadt B. verbrachte sie bei ihrer bourgeoisen Großtante unter Kronleuchtern und auf Perserteppichen die Sommerferien. Eine Insel, auf der die kommunistische Diktatur etwas war, das man verlachen konnte. Inzwischen ist der Kommunismus Vergangenheit und B. hat seine besten Zeiten hinter sich. Für die Künstlerin ist es eine Rückkehr in eine fremd gewordene Welt, mit der sie nur noch die Fäden ihrer Familiengeschichte verbinden.
Jakob ist bekannt als Schauspieler, doch ihn graust es vor dem Kommenden. Da fragt ihn seine Tochter: Was ist das Schlimmste, das du je getan hast? Jakob erinnert sich an einen Filmdreh an der mexikanisch-amerikanischen Grenze. Die Morde an Frauen und das Elend dort bekam er bloß distanziert mit – aber dann war er plötzlich mittendrin in einem unheimlichen Geschehen. Jakob schämt sich, sehnt sich in gleißenden Erinnerungen nach dem Glück und fürchtet seine Vergänglichkeit. Warum ist er kein Original, sondern stets nur „der zweite Jakob“?
Ipek ist Journalistin, sie hat das Fragenstellen gelernt, aber gegenüber dem Schweigen zwischen ihr und dem Vater ist sie ohnmächtig. Die Nähe, die Kind und Vater früher verband, ist ihnen mit jedem Jahr ein wenig mehr abhandengekommen, und mit der Nähe die gemeinsame Sprache. Dilek Güngör beschreibt die Annäherung einer Tochter an ihren Vater, der als sogenannter Gastarbeiter in den 70er Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam. Ein berührender und humorvoller Roman über eine Vater-Tochter-Beziehung.
Ein Mann mit Beinprothese, ein Abwesender, ein Witwer, ein Pensionär, ein Literaturliebhaber. Monika Helfer umkreist das Leben ihres Vaters und erzählt von ihrer eigenen Kindheit und Jugend. Von dem vielen Platz und der Bibliothek im Kriegsopfer-Erholungsheim in den Bergen, von der Armut und den beengten Lebensverhältnissen in der Südtiroler-Siedlung mit den vielen Kindern in einer Küche. Von dem, was sie weiß über ihren Vater, der so schweigsam war wie viele Männer dieser Zeit.
Der Stoff ist unschlagbar: ein Bad in Blut, eine schöne Frau, Gold und ein Mord, der grausam gerächt wird. So klingt das Lied der Nibelungen, die Sage von Siegfried, dem Strahlenden, seinem düsteren Gegenspieler Hagen und der schönen Kriemhild. Aber ist das die wahre Geschichte dieser europäischen Helden, die in Island oder Norwegen beginnt, am Rhein entlang spielt, die Donau runter erzählt wird und schließlich im Schwarzen Meer mündet? Niemand weiß, wie es wirklich war, meint Felicitas Hoppe und erfindet die Wahrheit.
Der Kulturwissenschaftler Theo steckt in einem merkwürdigen Schwebezustand fest, als er sich vornimmt, die Beziehung zu seiner Familie zu ändern. Scheinbar in sich selbst verloren und an der Gegenwart verzweifelnd unternimmt er zusammen mit seinem Sohn eine Reise. Auf der Route, die der spätere Kaiser Maximilian II. mit dem Elefanten Soliman vor Jahrhunderten vom Mittelmeer nach Wien unternahm, erkennt er das Leben als Strom aus Erklärungs- und Beobachtungsversuchen. Und dass man sich erst verlieren muss, wenn man zueinander finden will.
Am Beginn steht eine Erinnerung: vor 25 Jahren irrte in »Faserland« ein namenloser Ich-Erzähler (war es Christian Kracht?) durch ein von allen Geistern verlassenes Deutschland, von Sylt bis über die Schweizer Grenze nach Zürich. In »Eurotrash« geht derselbe Erzähler erneut auf eine Reise – diesmal nicht nur ins Innere seines Ichs, sondern in die Abgründe der eigenen Familie, deren Geschichte sich auf tragische, komische und bisweilen spektakuläre Weise immer wieder mit der Geschichte dieses Landes kreuzt.
Bengt Claasen sitzt im Auto, sein ganzes Hab und Gut im Kofferraum und das Halsband seiner verstorbenen Hündin auf dem Armaturenbrett. Dort, wo es herunterfällt, will er anhalten und ein neues Leben beginnen. Er landet schließlich in Zandschow, einem Nest im äußersten Norden. Die Bewohner des Orts rund um „Getränke-Wolf“ folgen einem strengen Wochenplan. Mit den prekären Verhältnissen mitten in der Pampa finden sie sich hier nicht mehr ab. Ihr Zandschow ist Sansibar, hier kann man arm sein, aber paradiesisch leben, in viel Verrücktheit.
Im Dezember 1939 kommt es vor dem Bahnhof von Genthin zu dem größten Zugunglück, das sich jemals auf deutschem Boden ereignet hat. Zwei Züge prallen in voller Fahrt aufeinander, zahlreiche Menschen sterben. In einem davon sitzt Carla, die schwer verletzt überlebt. Verlobt ist sie mit Richard, einem Juden aus Neuss, aber nicht er ist ihr Begleiter, sondern der Italiener Giuseppe Buonomo, der durch den Aufprall ums Leben kommt. Und Buonomos Name ist es, den sie nach dem Unglück annimmt.
Ein russisches Dorf um das Jahr 1918. Die Revolution hat längst stattgefunden, aber die Bewohner haben von den historischen Ereignissen noch nichts erfahren. Das untergehende Zarenreich ist groß, die Informationen fließen langsam. Doch selbst an einem Ort wie diesem steht die Zeit nicht still – hier treffen sich Ideen und Ideologen, Dorf und Welt, Gestern und Heute, Humor und Verstand. Eine zeitlose Geschichte und ein herausragendes Debüt.
„Was sehen sie, wenn sie mit ihren Sowjetaugen durch die Gardinen in den Hof einer ostdeutschen Stadt schauen?“, fragt sich Nina, wenn sie an ihre Mutter Tatjana und deren Freundin Lena denkt, die Mitte der neunziger Jahre die Ukraine verließen, in Jena strandeten und dort noch einmal von vorne begannen. Lenas Tochter Edi hat längst aufgehört zu fragen, sie will mit ihrer Herkunft nichts zu tun haben. Bis Lenas fünfzigster Geburtstag die vier Frauen wieder zusammenbringt und sie erkennen müssen, dass sie alle eine Geschichte teilen.
Es sind die 2020er Jahre, es ist kompliziert. Und es gibt einen Skandal: Prof. Dr. Saraswati ist WEISS! Schlimmer geht es nicht. Denn Niveditas Professorin für Postcolonial Studies in Düsseldorf war eben noch die Übergöttin aller Debatten über Identität – und beschrieb sich als Person of Colour. Während das Netz Saraswati hetzt, stellt Nivedita ihr intimste Fragen: Sind wir einfach wir selbst, oder vor allem Frauen oder Männer, Schwarze oder Weiße? Mit Selbstironie und befreiendem Wissen trifft Mithu Sanyal ins Herz aktueller Identitätsdebatten.
Der Wiener Tiefkühlproduktelieferant Franz Schlicht soll einem makabren Wunsch nachkommen. Sein Kunde Doktor Schauer ist fest entschlossen, sich zum Sterben in eine Tiefkühltruhe zu legen. Er beauftragt Franz Schlicht, den gefrorenen Körper auf eine Lichtung zu verfrachten. Zum vereinbarten Zeitpunkt ist die Tiefkühltruhe jedoch leer, und Schlicht begibt sich auf eine höchst ungewöhnliche Suche nach der gefrorenen Leiche.
Adina wuchs im tschechischen Riesengebirge auf und sehnte sich schon als Kind in die Ferne. In Berlin lernt sie eine Fotografin kennen, die ihr ein Praktikum in einem Kulturhaus in der Uckermark vermittelt. Von einem sexuellen Übergriff, den keiner ernst nimmt, unsichtbar gemacht, strandet Adina nach einer Irrfahrt in Helsinki. Im Hotel begegnet sie einem estnischen Professor, Abgeordneter der EU, der sich in sie verliebt. Während er sich für die Menschenrechte stark macht, sucht Adina einen Ausweg aus dem inneren Exil.
Er ist Musiker, Mitte vierzig und mit seinem glanzlosen Leben eigentlich nicht unzufrieden. Da lernt er Vanessa kennen, Schauspielerin, jung und strahlend schön. Und unerklärlicherweise interessiert sie sich für ihn. Sie versucht ihn zu überreden, es noch einmal zu wagen. Und er: Verliebt sich, verlässt seine Freundin und beginnt eine Affäre. Chaos und Glück werden immer größer, denn Vanessa ist beides für ihn. Doch er kommt nicht los von dieser Frau und ihren Dämonen. Liegt das am Ende gar nicht an Vanessa, sondern an ihm selbst?
Knut Cordsen, geboren 1972 in Kiel, besuchte in München die Deutsche Journalistenschule und studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität Kommunikationswissenschaften, Politologie und Soziologie. Seit 1997 arbeitet er in der Kultur-Redaktion des BR und für andere ARD-Anstalten – u.a. als Literaturkritiker und Moderator der Sendungen "kulturWelt" sowie "Diwan. Das Büchermagazin" (Bayern 2).
Bettina Fischer, geboren 1967 in Hamburg, leitet das Literaturhaus Köln. Sie ist u.a. Mitglied in der Jury für das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln und den Kranichsteiner Literaturpreis/Großer Preis des Deutschen Literaturfonds. 2018 war sie Mitbegründerin des Literaturszene Köln e.V. und ist dort wie u.a. im Litprom e.V. aktiv. Gemeinsam mit Dagmar Fretter ist sie Herausgeberin der Anthologie "Eigentlich Heimat", Düsseldorf 2014.
Anja Johannsen, geboren 1974, ist Leiterin des Literarischen Zentrums Göttingen und Initiatorin diverser Projekte, u.a. im Netzwerk der Literaturhäuser (zuletzt "Vom Unbehagen in der Fiktion"). Nach einem Studium in Berlin, Providence (USA) und Dublin und einer Promotion über Anne Duden, Herta Müller und W.G. Sebald hatte die Literaturwissenschaftlerin für in- und ausländische Verlage übersetzt und lektoriert und zu deutsch- und englischsprachiger Gegenwartsliteratur veröffentlicht. Sie ist Herausgeberin des Bandes "Doing Contemporary Literature. Praktiken, Wertungen, Automatismen" (Fink 2012).
Richard Kämmerlings wurde 1969 in Hüls am Niederrhein geboren. Er studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie in Köln und Tübingen. Seit 2000 Feuilletonredakteur der FAZ, seit 2010 bei der "Welt". Von 2013 bis 2017 leitete er die Beilage "Literarische Welt". Seit 2017 Literarischer Korrespondent der "Welt" und "Welt am Sonntag". Von 2007 an Mitglied der Jury des Bremer Literaturpreises. 2011 erschien sein Buch "Das kurze Glück der Gegenwart. Deutschsprachige Literatur seit '89" (Klett-Cotta). Er lebt in Berlin.
Sandra Kegel leitet das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zuvor war sie dort viele Jahre Redakteurin für Literatur und Literarisches Leben. Sie gehört zum festen Kritiker-Quartett der 3-Sat-Literatusendung "Buchzeit" und ist Mitglied mehrerer Literaturpreisjurys. Sie studierte Germanistik, Romanistik sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Aix-en-Provence, Wien und Frankfurt und wurde ausgezeichnet mit dem Ravensburger Medienpreis.
Beate Scherzer, 1953 in Berlin geboren, beginnt 1968 ihr Leben als Buchhändlerin. Von 1980 bis 1990 Schauspielerin in der freien Theaterszene, danach Rückkehr in den Buchhandel und Neustart im Ruhrgebiet: zunächst in der Buchhandlung im Grillo-Theater, 2005 Mitgründerin und Geschäftsführerin von Proust Wörter + Töne (viermal mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet). Seit 30 Jahren Planung und Moderation von zahlreichen Literaturveranstaltungen.
Anne-Catherine Simon, geboren 1975 in Graz, arbeitet als Literatur- und Feuilletonredakteurin bei der österreichischen Tageszeitung "Die Presse". Sie studierte in Wien und Graz Germanistik und Romanistik sowie Violine, zu ihren Publikationen zählt unter anderem das Buch "Schnitzlers Wien". 2019 war sie Mitglied der Jury des Österreichischen Buchpreises.