Preisverleihung 14. Oktober 2024
Preisverleihung 14. Oktober 2024
Roman des Jahres, Shortlist, Longlist und die Jury des Deutschen Buchpreises von 2022.
Dreißig Jahre hat Hüseyin in Deutschland gearbeitet, nun erfüllt er sich endlich seinen Traum: eine Eigentumswohnung in Istanbul. Nur um am Tag des Einzugs an einem Herzinfarkt zu sterben. Zur Beerdigung reist ihm seine Familie aus Deutschland nach. Fatma Aydemir erzählt von sechs grundverschiedenen Menschen, die zufällig miteinander verwandt sind – und von der unstillbaren Sehnsucht, verstanden zu werden.
Ein kleiner Ort am Nord-Ostsee-Kanal, zwischen Natur, Kreisstadt und Industrie. Mitten aus dem Alltag heraus verschwindet eine Familie spurlos. Das verlassene Haus wird zum gedanklichen Zentrum der Nachbarn. Sie alle kreisen wie Fremde umeinander, scheinbar unbemerkt von den Nächsten, sie wollen Verbundenheit und ziehen sich doch ins Private zurück. Ihre Wege kreuzen sich, ihre Geschichten verbinden sich miteinander, denn sie suchen, wonach wir alle uns sehnen: Geborgenheit, Zugehörigkeit und Vertrautheit.
Eine Kindheit in den 1980er Jahren, in der ein Thema alles beherrscht: das Körpergewicht der Mutter. Ist diese schöne, eigenwillige, unberechenbare Frau zu dick? Muss sie dringend abnehmen? Ja, das muss sie. Entscheidet ihr Ehemann. Er hat die fixe Idee, das Übergewicht seiner Frau wäre verantwortlich für alles, was ihm versagt bleibt: die Beförderung, der soziale Aufstieg, die Anerkennung in der Dorfgemeinschaft. Die Mutter ist dem ausgesetzt, Tag für Tag. Aber sie hört nicht auf, für die Selbstbestimmung über ihr Leben zu kämpfen.
Das Leben eines selbsternannten Trottels, erzählt von ihm selbst: In Prag studiert er Informatik, hält aber nicht lange durch. Nach einer denkwürdigen Begegnung mit der "Teutonenhorde" zu der auch seine spätere Frau gehört, zieht er nach Ostberlin, taucht ein in die Undergroundszene vom Prenzlauer Berg, gründet eine Familie, erlebt die DDR-Doktrin und die Nachwendejahre. Doch alle Erinnerungen durchzieht eine dunkle Spur: die des Sohnes, der mit dreiunddreißig Jahren den Suizid wählen und dessen Tod alles aus den Angeln heben wird.
Die Erzählfigur in "Blutbuch" identifiziert sich weder als Mann noch als Frau. Aufgewachsen in einem schäbigen Schweizer Vorort, lebt sie mittlerweile in Zürich, ist den engen Strukturen der Herkunft entkommen und fühlt sich im nonbinären Körper und in der eigenen Sexualität wohl. Doch dann erkrankt die Großmutter an Demenz, und das Ich beginnt, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ein Befreiungsakt von den Dingen, die ungefragt weitergetragen werden: Geschlechter, Traumata, Klassenzugehörigkeiten.
»Ich habe mir nie viel aus Kunst gemacht.« Als zufriedener Kunstbanause offenbart sich der Erzähler zu Beginn und berichtet davon, wie Carl, bewunderter Freund, ihn mit seiner Spitzweg-Begeisterung vom Gegenteil überzeugt. Als seine Passion so weit geht, dass er auch vor einem Verbrechen nicht zurückschreckt, wird die einstige Schülerfreundschaft auf ihre schwerste Probe gestellt. Eine dramatische Suche beginnt.
Die Welt geht unter, aber Yada wird erwachsen. Und das auf einer Insel vor dem deutschen Festland, die als Fluchtort vor dem Kollaps der Gesellschaft gedacht war. In den Jahren seit ihrer Gründung ist ihr Glanz vergangen, Algen und Moos überwuchern die einst spiegelnden Flächen. Und Yada macht eines Tages eine Entdeckung, die alles ins Wanken bringt. Theresia Enzensbergers Roman erzählt von den utopischen Versprechen neuer Gemeinschaften und dem Glück im Angesicht des Untergangs.
Luise ist klug, Luise ist unabhängig, Luise ist eine Insel. Als Meeresbiologin hat Luise sich einen exzellenten Ruf erarbeitet, ihr Spezialgebiet: die Meerwalnuss, eine geisterhaft illuminierte Qualle im Dunkel der Ozeane. Als Luise für ein Projekt mit einem renommierten Tierpark nach Graz reisen soll, zögert sie nicht lange. Doch Graz, das ist auch ihre Heimatstadt, das ist die Wohnung ihres abwesenden und plötzlich erkrankten Vaters. Und das ist die Geschichte einer jahrelangen Sprachlosigkeit und Fremdheit zwischen ihnen.
Meret ist Krankenschwester. Die Klinik ist ihr Zuhause, ihre Uniform trägt sie mit Stolz, schließlich kennt die Menschen in ihrem Leiden niemand so gut wie sie. Bis eines Tages ein neuartiger Eingriff entwickelt wird, der vor allem Frauen von psychischen Leiden befreien soll. Die Nachwirkungen des Eingriffs können schmerzhaft sein, aber danach fängt die Heilung an. Daran hält Meret fest, auch wenn ihr langsam erste Zweifel kommen.
Jakob wächst in einer traditionell geprägten Welt in Oberösterreich auf und übernimmt früh die Verantwortung für den Hof. Der Vater ist ein Phantast, und die Großmutter droht, das „Judengeld“ der „rechten Partei“ zu vermachen, wie sie sagt. Die Schwester sitzt untätig herum und lässt sich bedienen. Erst als er Katja, eine Künstlerin aus der Stadt, kennenlernt, scheint sich alles zum Guten zu wenden. Doch Jakobs unzähmbarer Zorn flammt immer wieder auf. Er fragt sich: Wäre er ein anderer, wenn er anderswo aufgewachsen wäre?
In einer US-amerikanischen Kleinstadt bringt eine zwanzigjährige Telefonistin 1953 ein Kind zur Welt. Noch in derselben Nacht gibt sie es zur Adoption frei. Bald sehen sich die betreuenden Kinderschwestern mit einem aus ihrer Sicht schwerwiegenden Verdacht konfrontiert: Das Baby scheint, anders als von der Mutter angegeben, nicht »weiß« zu sein. Eine Sozialarbeiterin soll die wahre ethnische Herkunft des Kindes ermitteln. Dazu muss sie allerdings den Vater des Kindes ausfindig machen, dessen Identität die leibliche Mutter nicht preisgeben will.
Im Mai und im September 1976 erschüttern zwei schwere Erdbeben eine Landschaft und ihre Bevölkerung im nordöstlichen Italien. An die tausend Menschen sterben unter den Trümmern, Zehntausende sind ohne Obdach, viele werden ihre Heimat für immer verlassen. Sieben Bewohnerinnen und Bewohner eines abgelegenen Bergdorfs erzählen von ihrem Leben, in dem das Erdbeben tiefe Spuren hinterlassen hat, die sie langsam zu benennen lernen.
Herr Harald ist der Mann in der Garderobe. Er gehört zum Theater wie der Vorhang, aber das Rampenlicht ist für andere. Eines Abends bleibt ein Mantel zurück, in dem Herr Harald eine Pistole findet. Was will er damit tun? Er kann sich schlecht gegen alles zur Wehr setzen, was ihm an der Welt und den Mitmenschen als Zumutung erscheint. Aber vielleicht kann er ihre Aufmerksamkeit auf jemanden lenken, der wie er ein Schattendasein führt: die Frau, die für einen anderen die Noten umblättert und die er aus der Ferne verehrt.
Dilek und Tekin sind ein junges Paar in Istanbul. Nicht erst seit dem Juli 2016 hat sich auch für sie die Stadt verändert. Als Dilek Jahre später in ein Flugzeug steigt, weiß ihr Freund nichts davon, niemand soll wissen, dass sie, die online »Kangal« heißt, bald in Frankfurt landet. Ayla ist überrascht, als ihre Cousine Dilek sich bei ihr meldet, die gemeinsamen Sommer sind lange her. Und während sich Tekin in Istanbul auf die Suche macht, fragt sich Ayla: Wer ist Dilek heute?
Es ist das letzte Mal, dass Richard Sparka mit seiner Familie ins geliebte Kindheitsparadies Schmogrow im Oderbruch fährt. Nach dem Tod der Tatziets, die jahrzehntelang das Haus und den Garten, das Dorf und die Umgebung zu einem Ferienidyll und Hort des richtigen Lebens gemacht haben, wird das Haus abgerissen und das Grundstück verkauft. In Erinnerungen und Erkundigungen forscht Richard dem Glück Schmogrows nach und entdeckt, dass Vieles in dem naturnahen Selbstversorger-Paradies auch dunkle Züge trägt.
Nordkorea, mon amour. Starke Empfindungen sind Claudia Aebischer eigentlich fremd. An der Spitze einer Delegation junger Kulturschaffender reist die Fünfzigjährige ein letztes Mal nach Pjöngjang. Doch schon kurz hinter der chinesischen Grenze sieht sie sich mit einer Erscheinung konfrontiert, die eine alte Sehnsucht in ihr weckt. Eine Begegnung, die alles neu und anders macht – gibt es das? Das Phänomen hat, wie Claudia erfährt, einen Namen. Sunmi ist Germanistin, Dolmetscherin und Agentin der DVRK.
Ein bürgerlicher Held, ein Jurist und Schriftsteller namens Roth, begibt sich für eine längere Auszeit nach Niendorf: Er will ein wichtiges Buch schreiben, eine Abrechnung mit seiner Familie. Am mit Bedacht gewählten Ort gerät er aber bald in die Fänge eines dämonischen Geists: ein Strandkorbverleiher. Als Dritte stößt dessen Freundin hinzu, in jeder Hinsicht eine Nicht-Traumfrau – eigentlich. Und am Ende dieser Sommergeschichte ist Roth seiner alten Welt komplett abhandengekommen, ist er ein ganz anderer.
Eine Reporterin erfährt aus dem Radio vom gewaltsamen Tod des berühmten britischen Kriegsfotografen Tim H*** in Libyen. Nicht lange zuvor war sie selbst mit ihm unterwegs im Bürgerkriegsland Liberia. So erzählt sie von seinem Leben und von seinem Sterben, aber auch von ihren eigenen Erfahrungen an den verschiedensten Orten, in Afghanistan und im Dschungel von Papua-Neuguinea, im Inneren der Mongolei und im Kaukasus. Ihre Erfahrungen mischen sich mit Bildern und Beschreibungen der Welt, die versuchen, unsere globale Gegenwart zu deuten.
Ksenia ist Russin, sie ist Deutsche, sie ist Jüdin, sie ist unter Zeugen Jehovas aufgewachsen, sie ist eine junge Frau, Mutter, Schriftstellerin und Wissenschaftlerin – das alles ist sie und gleichzeitig nichts davon. Bei der Erforschung des eigenen Identitätspluralismus sammelt sie Ebay-Anzeigen, die das Wort „russisch“ enthalten, beobachtet israelische Verwandte auf Facebook, besucht arabische Läden und erinnert sich immer wieder an einen traumatischen kindlichen Zustand von Orientierungslosigkeit und Fremdbestimmung.
Der 17-jährige Freudenberg hat Sehnsüchte und Träume – doch ihm fehlen die Worte, um sich verständlich zu machen. Also treffen andere die Entscheidungen für ihn. Während eines Familienurlaubs bietet sich die Chance, sein fremdbestimmtes Leben hinter sich zu lassen: An einem verlassenen Strandabschnitt findet er den Leichnam eines Jungen. Freudenberg vertauscht Kleidungsstücke, Brieftaschen und Ausweise, inszeniert seinen eigenen Tod und nimmt eine neue Identität an. Doch schon bald überfordert ihn die neu gewonnene Freiheit.
Erich Klein, geboren 1961, freier Publizist und Übersetzer, lebt in Wien. Regelmäßige Beiträge in den Ö1-Sendungen „Ex libris“, „Diagonal“ und „Kontext“; in „Falter“, „Die Furche“, „Anzeiger“. Zuletzt erschien von ihm „Jewgenij Chaldej – Fotograf der Befreiung“ (Jüdisches Museum Wien 2021, mit M. Patka). Er ist Herausgeber von Themenheften der Zeitschrift „Wespennest“ und der „Facetten. Literarisches Jahrbuch der Stadt Linz“. Er übersetzt aus dem Russischen.
Frank Menden, geboren 1969, ist gelernter Buchhändler. Seit 2011 arbeitet er in der 2021 mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichneten Buchhandlung „stories! Die Buchhandlung“ in Hamburg. Er moderiert Lesungen und ist Teil des hauseigenen Podcast „stOHRies!“. 2017 startete er unter seinem Namen einen Instagramaccount, auf dem er Bücher und Filme rezensiert und an Kulturschaffende erinnert. Er war 2020 in der Jury des Hubert-Fichte-Preises.
Uli Ormanns ist Inhaber der Agnes-Buchhandlung. Er stammt aus einer Buchhändlerfamilie, die seit den 1980er Jahren in Köln mit verschiedenen Geschäften vertreten ist. Er ist Mitinitiator der Reihe „Literatur in St. Agnes“. Seine Buchhandlung wurde viermal in verschiedenen Kategorien mit dem Deutschen Buchhandlungspreis ausgezeichnet.
Isabelle Vonlanthen, geboren 1973, hat Slawistik und Zeitgeschichte in Fribourg (CH) und St. Petersburg studiert und zur Frage der polnischen Nationalliteratur promoviert. Seit 2011 arbeitet sie als Programmgestalterin am Literaturhaus Zürich, wo sie u.a. jährlich ein internationales Literaturfestival kuratiert. In ihrer Arbeit für die „ch-Reihe“ fördert sie den Dialog zwischen den verschiedenen Literatursprachen der Schweiz. Von 2014-2021 war sie Präsidentin der Literaturkommission der Stadt Zürich.
Selma Wels ist eine der Mitbegründerinnen des Berliner binooki Verlags, den sie von 2011-2020 leitete. Für ihre verlegerische Arbeit wurde sie mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Kurt-Wolff-Förderpreis. Seit 2020 arbeitet Selma Wels als freischaffende Kulturvermittlerin mit den Themenschwerpunkten Literatur und Diversität und ist unter anderem Co-Initiatorin und Co-Kuratorin des Festivals „WIR SIND HIER. Festival für kulturelle Diversität“.
Jan Wiele ist Literaturredakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Geboren 1978 in Herford, studierte er Germanistik und Anglistik in Heidelberg und unterrichtete Deutsch als Fremdsprache im Ausland. Nach einer Promotion über den modernen Roman wurde er Journalist. Er ist im Feuilleton der F.A.Z. auch zuständig für Popmusik und ist Kritiker bei der SWR-Bestenliste.
Miriam Zeh arbeitet als Literaturredakteurin bei Deutschlandfunk Kultur.
Sie studierte Musik, Germanistik und Philosophie. An der Goethe-Universität in Frankfurt am Main verteidigte sie 2021 ihre Dissertation zur Inszenierung schriftstellerischer Arbeit. Essays und Rezensionen schrieb sie zuletzt unter anderem für verschiedene Rundfunkanstalten der ARD sowie als Mitherausgeberin der Zeitschrift „POP. Kultur und Kritik“. Bei „Books up!“ präsentierte sie Literatur für junges Publikum auf Instagram.