Preisverleihung 14. Oktober 2024
Preisverleihung 14. Oktober 2024
Ein Briefbeschwerer, Zeitungen, eine Puppe – inspiriert von persönlichen Gegenständen folgt die Erzählerin den Erinnerungsspuren ihrer Familie. Sie sind mitteleuropäische Juden, Opfer der Geschichte, und Schweiger, die über ein brilliantes Gedächtnis verfügen. In einer Fülle von Episoden, in denen Tragik und Komik eng verflochten sind, entfaltet sich auch die Geschichte des europäischen Judentums.
Gila Lustiger nähert sich in So sind wir behutsam der Figur ihres Vaters, des Schriftstellers Arno Lustiger, der als Jugendlicher ins KZ kam und den Holocaust überlebte. Es geht um die psychischen Auswirkungen, die das Erlebte auf die Familie hat, „eine Familie, die schonend über die Vergangenheit schweigt." Obgleich diese zarte und kluge Annäherung an das Verschwiegene nur wenig fiktionalisiert sein dürfte, steht im Untertitel selbstbewusst "Familienroman" - zu Recht, denn dieses hervorragende Buch enthält den Stoff eines großen Romans.
Ostdeutsche Provinz, Januar 1990. Enrico Türmer, bisher Theatermann und heimlicher Schriftsteller, heuert bei einer Zeitung an und stürzt sich ins tätige Leben. Von dieser Wende in Zeiten des Umbruchs erzählen die Briefe Türmers, die er an drei geliebte Personen schreibt. Dabei entsteht, wovon Türmer so lange geträumt hat: der Roman seines Lebens. Schulze entwirft ein Panorama von der Geburtsstunde unserer heutigen Zeit.
Mich hat das Vorhaben des Autors beeindruckt, etwas noch morgen Gültiges über eine große Zeitenwende zu sagen. Dies tut er mit literarischen Mitteln, die umso raffinierter sind, je einfacher sie scheinen. Schulze schreibt nicht sentimental, anekdotisch oder reißerisch, sondern schildert die Wende als eine Reihe von Alltagsereignissen. Das macht „Neue Leben“ zum bisher einzigen gelungenen Wenderoman.
Adam ist ein Mann, den die Frauen lieben. Und Adam liebt schöne Frauen. Ganz besonders wenn sie die von ihm geschneiderten Kleider tragen. Abgesehen davon liebt er Evelyn, die ihn eines Tages in flagranti mit einer anderen ertappt. Statt mit Adam fährt Evelyn mit Freunden im Spätsommer 1989 an den Balaton. Adam setzt ihnen in seinem alten Wartburg nach. Eine Tragikomödie um den biblischen Mythos von Adam und Eva.
Ingo Schulze hat einen komplizierten Moment der deutsch-deutschen Geschichte auf leichtfüßige Weise mit dem Adam und Eva-Mythos verbunden. Die Dialoge sind klar und direkt, scheinbar banal und doch tiefgründig, axiomatisch. Schulze vermittelt sensibel das ambivalente Gefühl der DDR-Bürger vor der Maueröffnung, sich für etwas entscheiden zu müssen, ohne den Ausgang der Geschichte zu ahnen.
August 1571: Elisabeth I. herrscht in England, und Mary Grey, ihre Cousine, ist wütend. Sie ist sechsundzwanzig, kleinwüchsig und hat einen Thronanspruch. Mary Grey will frei sein, einen eigenen Haushalt und das Sorgerecht für ihre Stiefkinder. Nichts von alledem bekommt sie, und anstatt das still hinzunehmen, begehrt sie auf. Sie beschließt, einen Bericht zu schreiben - eine Abrechnung mit dem Königshof. Dabei stellt sie fest, dass ihr Handeln und das ihrer Familie ebenso willkürlich und unfrei war wie das aller anderen. Und dass es erste Anzeichen gibt, wieder in Gnade aufgenommen zu werden.
Inger-Maria Mahlkes "Wie Ihr wollt" ist ein historischer Roman und bitter-komische Dekonstruktion des Genres historischer Roman. Weltgeschichte im toten Winkel eines Kammerspiels, geschildert aus der Perspektive einer kleinwüchsigen Herrscherin im Wartestand. Indem Mahlke eine Machtlose, gefangen im Kerker ihres Körpers, zur Protagonistin macht, gelingt ihr ein fulminantes Stück weiblicher Gegengeschichtsschreibung und radikale Gegenwartskritik im Tudor-Gewand.
Georg Autenrieth ist eine zwielichtige Gestalt in zwiegesichtigen Zeiten, immer wieder taucht er auf in Berlin, der Mann aus Westdeutschland, hält Kontakt mit der Szene, durchsucht die Stadt und zelebriert Laster, Lebensgier und Liebeskunst. Wohin aber verschwindet er dann? Wer ist der »Glasmann«? Und welche Rolle spielen seine Verbindungen zur RAF? Gerhard Falkners »Apollokalypse« ist ein Epochenroman über die 80er und 90er Jahre. Dem Vergeuden von Jugend, der Ausschweifung jeglicher Couleur und der Hypermobilität stellt er einen rauschhaften Rückverzauberungsversuch der Welt entgegen.
Kurt Prinzhorn ist zu einem Schriftstellertreffen nach Innsbruck eingeladen, wo ihm Merkwürdiges widerfährt: Jemand muss während seiner Abwesenheit ein ausgiebiges Schaumbad in der Wanne seines Hotelzimmers genommen und dort bewusst Spuren hinterlassen haben. Die Chipkartenschließanlage der Tür zeigt jedoch kein fremdes Eindringen an. Als nächstes verschwindet der Schlüsselbund des zunehmend ratlosen Autors. Während einer Moskau-Reise wenige Tage später kommt es zu neuen Unerklärlichkeiten, und auch in Madrid, wo Prinzhorn einer früheren Geliebten wiederbegegnet, reißt die Kette seltsamer Geschehnisse nicht ab – bis ihm durch Zufall das Puzzle der Erinnerung zu einem Bild zusammenfällt, das ihn weit in die eigene Biographie zurückführt. Am nächsten Morgen klingelt die Polizei an der Tür seiner Berliner Wohnung, denn unter dem Fenster von Prinzhorns Zimmer in Madrid wurde eine tote Frau gefunden.
„Romeo oder Julia“ besteht aus drei Teilen, und tatsächlich erinnert der Roman an ein Triptychon. Hier ist jedes Wort mit feinem Pinsel gemalt, jeder Satz aufs schärfste angespitzt. Vordergründig handelt der Roman ja von den Abenteuern eines Schriftstellers, im Grunde aber geht es um das Abenteuer der Sprache, um das Abenteuer des Schreibens, und darum, wie mit Sprache Welt erschaffen wird, wie mit jedem Wort Entscheidungen getroffen werden: „Romeo ODER Julia“ eben.
Matuschek ist vierzig, als seine Mutter stirbt, mit der er sich das Haus teilte. Ohne ihre Fürsorge weiß er nicht, wie es weitergehen soll. Eine Frau hat er nicht und von dort, wo er wohnt, geht man weg, wenn man kann. Aber Matuschek ist einer, der bleibt, Bewohner des Hinterlands, einer von anderen längst aufgegebenen Welt. Zum Glück gibt es Nachbarn. Igor, der Russe, wird zum Freund. Den alten Witt kennt er seit seiner Jugend. Und dann sind da die Tauben, die Matuschek als Junge bekam und seitdem züchtet. Das kann schon reichen fürs Leben. Als Matuschek Irina kennenlernt, winkt das Glück. Aber dann geht etwas schief und er beginnt von neuem. "Nach Onkalo" zeigt eine Welt am Rand, in der sich die großen Fragen nicht weniger deutlich stellen: wie man sein Leben aushält und dabei glücklich wird. Matuschek will nur seinen Alltag meistern. Doch vielleicht befähigt ihn genau das zur Erkenntnis "ob das Leben die Mühe lohnt".
Zwei Jahre schon warten die Greilachs mit an Verzweiflung grenzender Vorfreude auf die Ankunft eines jungen Doktoranden in ihrer abgelegenen Mühle. Er soll dem alternden Maler Günter Greilach zu neuem Ruhm verhelfen. Für seine Frau Natascha dagegen wird er zum Lichtblick ihrer Alltagsroutine. Doch als der junge Mann nach mehreren Absagen plötzlich vor ihrer Tür steht, kommt alles anders als selbst in wildesten Träumen ausgemalt. Nach dem großen Erfolg von "Der amerikanische Investor" gelingt dem vielfach preisgekrönten Jan Peter Bremer einmal mehr eine hochaktuelle Gesellschaftsparabel: über das allgegenwärtige Bedürfnis gesehen zu werden in einer Zeit, in der Bedeutung zur Momentaufnahme schrumpft – kurzweilig, klug und voller Sprachwitz.