Preisverleihung 14. Oktober 2024
Preisverleihung 14. Oktober 2024
Man weiß nicht wann und man weiß nicht wo, aber eines ist gewiss – irgendwann schlägt die Liebe zu. Hier geschieht es zweien, die schon seit langer Zeit allein durchs Leben gehen, und es trifft sie wie aus heiterem Himmel: Er hat die wunderbarsten Augen der Welt, und sie ist so schön, dass er glaubt, er habe Halluzinationen. Doch dieser Zustand hält nur wenige Tage an. Ein Roman über das älteste Thema der Literatur.
Iris Hanika erzählt von Liebe in Milieus, die der Liebe nicht günstig sind – unter Singles um die 40 in der Großstadt der Gegenwart; es geht aber auch um die Sprachen der Liebe. Um die, die wir aus Serien und Songs oder aus unserem Alltagsslang kennen. Und um den hohen Ton aus klassischeren Zeiten. Daraus macht sie eine Komödie mit Widerhaken und einer Spannung, die nicht nur zum Lachen ist.
Marina stammt aus Petersburg und ist zu Besuch in Deutschland, wo sie bei einem Kongress über Daniil Charms und seinen Freundeskreis spricht. Außerdem ist da ein Mann, der als Russisch-Student in Leningrad lebte und mit dem sie damals, vor 20 Jahren, eine Liebesgeschichte lebte. Die Vergangenheit ist nicht vergangen – und das gilt nicht nur für diese private Geschichte: »Ich habe Angst vor den Geheimnissen der Zeit.« Ein ganzes Jahrhundert (und manchmal auch darüber hinaus) passiert in den Assoziationen Marinas Revue, und nirgendwo sonst ist dieses letzte Jahrhundert vielfältiger, durch gewaltige Brüche im Sozialsystem fragmentierter gewesen als in Russland: vom Zarenreich über die Revolution, die Sowjetunion, die Weltkriege, die Belagerung Leningrads durch die Deutschen, die Perestrojka.
Von den zahllosen Lebenden und Toten, die Wien bevölkern, hebt Thomas Stangl in seinem Roman „Was kommt“ zwei Personen heraus: Emilia, 17, die wir im Sommer 1937 kennenlernen, am Vorabend der historischen Katastrophe, und Andreas, den Pubertierenden, der vierzig Jahre später, Ende der 70er Jahre, wie Emilia allein mit seiner Großmutter lebt und ebenfalls in eine ebenso private wie politische Katastrophe gerät.
Stangls vierter Roman ist der Zustandsbericht rund um diesen Imperativ herum, der die Veränderung des schlechten Bestehenden verlangt: Da ist eine junge Frau, die als Demonstrierende gegen die neue, rechtslastige Regierung in Wien im Februar 2000 durch politisches Handeln ein neues Existenzgefühl erfährt. Ihre Schwester Mona geht zur selben Zeit einen ganz anderen Weg, der in einem schockierend-befreienden acte gratuit endet. Und 15 Jahre später gerät ein Dr. Walter Steiner in eine existenzielle Krise, da seine Frau ihn verlässt; gleichzeitig verbindet ihn der zufällige Fund von alten Bildern mit diesen zwei Frauen und stellt neue Zusammenhänge her.
Artur führt eine unspektakuläre, in geordneten Bahnen verlaufende Ehe mit der Mittelschullehrerin Rita, jobbt, obwohl Akademiker, in einem Kopierzentrum und als Nachhilfelehrer und ist ganz allgemein nicht sonderlich ehrgeizig oder anspruchsvoll. Bis eines Tages eine gewisse Alice den Copyshop betritt und eine Notiz hinterlässt… Was nun ins Rollen kommt, ist eine Zeit lang ausgesprochen komisch, aber diese Komik nimmt unversehens immer düsterere, schließlich grauenhafte, wie einem Splattermovie entsprungene Formen an, und die bisher so satten und zufriedenen, vielleicht sogar glücklichen Romanfiguren sehen sich unausweichlich in Handlungen verstrickt, die weder sie sich selbst noch die Leser ihnen jemals zugetraut hätten.
Elisabeth, 58, versucht würdevoll zu altern. Ihr gutbürgerliches Leben ist am ehesten charakterisiert durch das, was sie alles nicht getan hat: sie hat nicht studiert und nicht gearbeitet, sie hat ihre Kinder nicht vernachlässigt und ihren Mann nicht mit dem Künstler Jakob betrogen. Mit Zynismus und verhaltener Selbstreflexion beobachtet sie das Altern der Frauen um sie herum. Und sie beobachtet ihre Kinder, vor allem Franziska, 35, die zu Wutausbrüchen neigt, mit den Anforderungen der Gesellschaft an ihre Mutterrolle hadert und die theoretische Gleichberechtigung von Mann und Frau im Alltag nicht einlösen kann. Es scheint, als habe sich dieser zahnlose Feminismus von einer Generation an die nächste vererbt.
Eines Abends erfährt sie, als sie, statt zu schreiben, nach ihrer ersten Liebe googelt, dass er sich aus dem achten Stock gestürzt hat. Vor fast fünf Jahren schon. Sie ist schockiert, ebenso sehr über seinen Selbstmord wie über die Tatsache, dass sie ihn gar nicht vermisst hat. Sie beginnt eine Liebesrecherche: Sie handelt ihre Liebesbiographie an zwölf Männern ab, die weit mehr als die Namen gemein haben mit den Aposteln, den Gesandten des Glaubens und der Liebe. Und je länger sie schreibt, desto stärker schiebt sich die Rahmengeschichte, ihre aktuelle Liebessituation, ins Zentrum, bis sie die Handlung übernimmt.
„Eins im Andern“ der Schweizer Autorin Monique Schwitter ist ein zeitgenössischer Liebesreigen und Totentanz zugleich. Formal komplex, motivisch anspielungsreich – nicht zuletzt mit Anleihen bei der christlichen Ikonografie – verhandelt der Episoden-Roman die grundlegenden Themen der Literatur: Liebe und Tod, Treue und Verrat. Die entscheidende Frage, die er umkreist, lautet: Wie verhält sich eins zum anderen – die Liebe zum Tod, der Tod zur Liebe? Vor allem aber: Was vermag die Schrift, die Literatur angesichts des Todes? „Eins im Anderen“ ist insofern auch ein meta-fiktionaler Roman, der trotz gewichtigem Gepäck als gekonnt leichtfüßiges Spiel des Weges kommt.