Preisverleihung 14. Oktober 2024
Preisverleihung 14. Oktober 2024
Ein Dorf in Ostfriesland, Kühe grasen auf den Wiesen, hinter den Tujenhecken des Neubauviertels blühen die Blumen, in den Auffahrten glänzen die Neuwagen. Hier wird Mitte der Siebziger Daniel Kuper geboren. Ein verschlossener Junge mit viel Fantasie und wenigen Möglichkeiten. Doch bald geschieht Seltsames: Mitten im Sommer schneit es heftig, ein Kornkreis entsteht, ein Schüler stellt sich auf die Bahngleise, Hakenkreuze tauchen an den Hauswänden auf. Für all das wird Daniel verantwortlich gemacht und er beginnt einen Kampf gegen die Dorfbewohner. Sie sind es, gegen die er aufbegehrt, und sie sind es, gegen die er am Ende verliert.
Jan Brandts beeindruckendes Debüt „Gegen die Welt“ ist ein neuer Versuch über die Pubertät aus der Generation Pop, mit all ihren Abwegen und Abgründen, ihrer Komik und Brutalität. Vom unvermeidlichen Unglück der Kleinfamilie, dem Aufstieg und Fall des mittelständischen Unternehmertums, dem keimenden Wahnsinn im Kopf und im Körper der, vor allem, männlichen Heranwachsenden erzählt dieses kraftvolle, experimentierfreudige Buch. Am Ende weiß man: Die nordwestdeutsche Provinz der 70er und 80er Jahre war ein hartes Pflaster.
Berliner Charité, Gründerzeit: Henrietta, Tochter des Klinikfaktotums, wächst auf zwischen Präparaten und Reagenzgläsern. An der Seite der großen Forscher der Zeit erlebt sie die Entdeckung des Tuberkulose-Erregers. Doch für eine Frau ihrer Herkunft scheint eine Karriere trotz Begabung unmöglich. „Die Gehilfin“ ist die Geschichte einer Frau, die das Unmögliche versucht: sich in der Männerdomäne Wissenschaft zu behaupten.
Samuel übersetzt die Bücher seines Vaters Yehuda, der den Nazis entkam, indem er vorgab Autor zu sein, aber der erst in Amerika zum Schriftsteller wurde. In den Siebzigern zieht Samuels Tochter zu ihm. Doch dabei bleibt es nicht: Samuels Ex-Frau kommt mit Vater und neuem Freund zu Besuch und sogar Yehuda fliegt ein. Dem Familientreffen entkommt Samuel nicht einmal, indem er sich in seine Spanischlehrerin verliebt.
Als Leo im Herbst 1957 durch die Frankfurter Kaiserstraße geht, hört er vom Mord an der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt. Der Name setzt sich bei ihm fest wie der Name einer Geliebten. Durch fünf Jahrzehnte begleitet „Kaiserstraße“ das Leben von Leo und seiner Tochter; in fünf Stationen verfolgt der Roman die Entwicklung zweier Helden und markiert zugleich fünf Wendepunkte in der Geschichte der Republik.
Marga gibt eine Vermisstenanzeige auf: Der Mann, den sie liebt, ist in einer Geisterbahn verschwunden. Robert, Kriminalbeamter im Morddezernat, nimmt ihre Geschichte auf und begibt sich zusammen mit seiner Kollegin Nico auf die Suche nach dem Vermissten. Doch überall stößt er wieder auf Marga, die immer undurchschaubarer wird. Als der Fall schon als unlösbar gilt, wird plötzlich auf Robert geschossen.
Silvester in einer kleinen Stadt: Vera geht schwimmen. Es ist ihr 46. Geburtstag, zu Hause warten wie jedes Jahr ihr Mann, ihr Sohn und ihre Freunde, um gemeinsam zu feiern. Da findet sie im Schwimmbad den Ausweis einer anderen Frau und haut ab. Nach London, wo sie sich mehr erhofft, als ihr bisheriges Leben ihr bieten konnte. Am selben Tag feiert Friedrich Wünsche die Wiedereröffnung seines Warenhauses. Er hat es geerbt und hegt große Träume. Was wäre ein besserer Ort für Utopien als das »Haus Wünsche«? ›Wünsche‹ erkundet, ob ein besseres Leben möglich wäre. Ob man nach dem Neuanfang ein anderer ist – oder nur um eine Lebenslüge leichter. Vera und die anderen Geburtstagsgäste, die sich einen Silvesterabend lang Sorgen um sie machen, erwartet ein Jahr voller Veränderung.
Katja Wiesberg verschwimmt die Welt vor Augen. Ihr Mann ist fort, und sie ist ihren Job los. Katja ist allein. Da sitzt auf einmal ein älterer Herr auf dem Rand ihrer Badewanne und stellt sich als Dr. Blank vor. Es ist der Geist ihres ehemaligen Nachbarn. Und noch ein Fremder taucht auf: Nachts steht ein Feuerwehrmann vor der Tür, der behauptet, zu einem Brand gerufen worden zu sein - und nicht wieder geht. Mit entwaffnender Zutraulichkeit nistet er sich in Katjas Leben ein. Erst allmählich begreift sie, wie gut er ihr tut: Ein kleinkrimineller Feuerwehrmann, der Karatefilme liebt, ist gerade das Richtige, um sie zurück ins Leben zu holen. Eine abenteuerliche Dreiecksgeschichte nimmt ihren Lauf, zwischen einer aus dem Alltag gefallenen Frau, einem überaus selbstbewussten Liebhaber und einem lebensweisen Toten, den allerdings nur Katja sehen kann.
Lothar war Pilot – bevor es geschah. Seine Frau Ruth war damals Stewardess, nun hilft sie in der Telefonseelsorge, damit es wenigstens anderen besser geht. Ihr Sohn Merten glaubt, als Einziger zu wissen, warum sein Bruder ermordet wurde. In der Familie Wilber klafft eine Lücke. Man redet nicht über Jakob und über den Grund, warum er nicht mehr da ist. Am Tag der Verurteilung des Mörders zünden sie eine Kerze an und warten, bis der Anruf kommt: Lebenslänglich. Nachts liegen die Eltern nebeneinander, und die Mutter fragt: „Bist du erleichtert?“ - „Nein.“ Andreas Schäfer erzählt luzide und souverän die Geschichte eines Traumas und seiner Folgen. Sie lässt den Leser nicht mehr los.
Ein Schauspieler stellt fest, dass das Dramatische aus seinem Leben verschwunden ist. Mit Anfang Vierzig muss er nicht mehr jedem Rock hinterherlaufen. Zusammen mit seiner Frau genießt er die ruhiger gewordene Zeit. Da taucht im Grundriss der neuen Wohnung das Wort „Kinderzimmer“ auf. Auf Kommando ist der Kinderwunsch nicht zu erfüllen, also lassen sie sich helfen – und das Dramatische kehrt in ihr Leben zurück.
Die Erzählfigur in "Blutbuch" identifiziert sich weder als Mann noch als Frau. Aufgewachsen in einem schäbigen Schweizer Vorort, lebt sie mittlerweile in Zürich, ist den engen Strukturen der Herkunft entkommen und fühlt sich im nonbinären Körper und in der eigenen Sexualität wohl. Doch dann erkrankt die Großmutter an Demenz, und das Ich beginnt, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ein Befreiungsakt von den Dingen, die ungefragt weitergetragen werden: Geschlechter, Traumata, Klassenzugehörigkeiten.
Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur in Kim de l’Horizons Roman „Blutbuch“ nach einer eigenen Sprache. Welche Narrative gibt es für einen Körper, der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht? Fixpunkt des Erzählens ist die eigene Großmutter, die „Großmeer“ im Berndeutschen, in deren Ozean das Kind Kim zu ertrinken drohte und aus dem es sich jetzt schreibend freischwimmt. Die Romanform ist dabei in steter Bewegung. Jeder Sprachversuch, von der plastischen Szene bis zum essayartigen Memoir, entfaltet eine Dringlichkeit und literarische Innovationskraft, von der sich die Jury provozieren und begeistern ließ.