Ceremony October 14th 2024
Ceremony October 14th 2024
Als an einem sonnigen Augusttag eine Besuchergruppe des Genfer Kernforschungszentrums CERN wieder ans Tageslicht tritt, ist ganz Europa in einen Dornröschenschlaf gefallen: Die Zeit steht still. Die 70 „Chronifizierten“ finden sich in einer traumatischen Situation aus Einsamkeit, Ohnmachtsgefühlen und mörderischen Auseinandersetzungen wieder, bis nach fünf Jahren die Weltzeit plötzlich für drei kostbare Sekunden weitertickt.
Thomas Lehrs "42" ist ein Roman, in den ich mich auf den ersten Blick verliebt habe. An Vielseitigkeit kaum zu überbieten: ein Thriller, eine Endzeitgeschichte, eine Variation auf menschliche Eitelkeiten und Begierden und gleichzeitig eine große Metapher des Stillstands und der Unfähigkeit des postmodernen Menschen, mit seiner Umgebung in natürliche Beziehungen zu treten. Das Ganze geschrieben in einer beeindruckenden, reichen, souveränen Sprache, die gewissermaßen die Arme ausbreitet und sagt: Komm her, setz dich hin, ich habe etwas zu erzählen. Ein Buch mit hoher Sogwirkung. Ich wünsche ihm und seinem Autor alles Gute.
Zwei Väter und zwei Töchter: Der deutsch-amerikanische Germanistikprofessor Martin lebt mit seiner Tochter Sabrina in den USA, der irakische Arzt Tarik und seine Tochter Muna leben in Bagdad. Nichts verbindet die beiden Familien. Doch dann stirbt Sabrina am 11. September 2001 im World Trade Center, und Muna kommt in den letzten Kriegstagen 2004 in Bagdad bei einem Bombenattentat ums Leben. Thomas Lehrs Roman erhellt die politischen Katastrophen der jüngsten Vergangenheit am Beispiel zweier jungen Frauen, und begibt sich damit auch auf eine literarische Grenzwanderung zwischen zwei Kulturen.
Thomas Lehr wagt ein riskantes Unterfangen. Er beschreibt ein hochbrisantes politisches Thema, den 11. September und die kriegerischen Folgen, als 470-Seiten-Poem; als west-östlichen Dialog. Vier Stimmen erzählen, zwei Väter, zwei Töchter, in den USA und im Irak, in New York, wo die Twin Towers stürzen und in Bagdad, wo „die Luft blutet“ und Menschen gefoltert werden. Gedichte von Goethe und Hafis, von Friedrich Rückert und Adonis und vielen anderen verweben die Schauplätze und machen den Roman zum westöstlichen Diwan unserer Tage.
Ein Jahrhundert Deutschland – an einem Tag. Rudolf Zacharias reist nach Berlin. Dort will er die Vernissage seiner früheren Studentin Milena Sonntag besuchen. In ihrer Ausstellung „Schlafende Sonne“ zieht Milena nicht nur eine künstlerische Lebensbilanz, sondern die ihrer Zeit. Wie in Bildern einer Ausstellung erzählt dieser Roman von den historischen Katastrophen und von den privaten Verwicklungen dreier Menschen, führt von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs bis ins heutige Berlin.
Thomas Lehr verhandelt, ausgehend von einem einzigen Tag, ein ganzes Jahrhundert und entwirft ein Geschichtslabyrinth, in dem er die komplexen Ereignisse und Verwerfungen souverän platziert und – im Wortsinn – neu zur Sprache bringt. Mit einer Mischung aus spannender Erzählung, Reflexion und ästhetischem Wagemut bricht er mit unseren Wahrnehmungsmustern und macht die Literatur selbst zum Instrument der Erkenntnis. Seite um Seite neue Blicke auf scheinbar Vertrautes, ein Archiv der Sinne, des Bewusstseins und all der sich überlagernden Bereiche, aus denen sich das speist, was wir unser Wissen nennen.