Ceremony October 14th 2024
Ceremony October 14th 2024
Er ist noch ein Kind, als er das erste Mal untertaucht, um der Schikane an seiner Schule zu entkommen. Seitdem zieht sich das Untertauchen ebenso durch sein Leben wie das Bauen und Einrichten neuer Häuser und Wohnungen. Er, das ist ein Namenloser: Held und Erzähler der Fabel vom letzten Robinson in einer Welt der nicht mehr vorhandenen Freiräume. Er sucht seinen Freitag und findet ihn im Chatroom: ebenso gesichts- und namenlos wie er selbst. Seine Visionen führen ihn nach Grevesmühlen, in die blaue Südsee, in den Londoner Kerker und wieder hinaus, immer begleitet von finanziellem Reichtum und geheimnisvollen Verfolgern.
"Robinsons blaues Haus" heißt der grandiose Roman des 85jährigen Ernst Augustin. Die phantastischen Geschichten dieses Buches spielen in Grevesmühlen, London, New York und in der Südsee, der topographischen Vielfalt entspricht die der Zeitebenen: Sie zitieren Daniel Defoes Figuren Freitag und Robinson und sie geschehen mit den digitalen Möglichkeiten auch in der Gegenwart. Dieses Buch bereitet pures Lesevergnügen, es besticht durch seine Ironie, mit seinem Phantasiereichtum öffnet es auch surreale Räume.
Nach einer Nierentransplantation kann Irma endlich wieder an ihrem Buch über aussterbende Berufe arbeiten. Mira ist Altenpflegerin und täglich mit dem Tod konfrontiert. Viel schlimmer trifft sie aber das Desinteresse ihres Mannes. Die beiden Frauen kennen sich nicht und doch sind ihre Schicksale subtil verwoben bis sie sich schließlich in einander zu spiegeln scheinen. Ein bis zur letzen Zeile spannendes Vexierspiel.
Der Protagonist dieser raffiniert gebauten Debütnovelle von JonasLüscher, der Schweizer Fabrikerbe Preising, wird auf einer Geschäftsreise in einem gehobenen tunesischen Oasenresort Zeuge aufwendiger Hochzeitsvorbereitungen. Reiche junge Engländer aus der Londoner Finanzwelt haben Freunde und Familie für ein großes Fest um sich versammelt und feiern schon im Voraus ausschweifend, als sich die wirtschaftlichen Krisensignale zur Katastrophe verdichten: Das britische Pfund stürzt ab, kurz danach ist England bankrott, mit unabsehbaren Folgen, die auch Tunesien nicht unberührt lassen. Preising, als Schweizer zwar von den schlimmsten Folgen ausgenommen, muss miterleben, wie dünn die Decke der Zivilisation ist, und lernt seine ganz eigene Lektion in Globalisierung, denn seine Firma lässt in Tunesien fertigen. Auch Preising bleibt nicht ungeschoren.
Um ein riesiges Erbe anzutreten, müssen drei Geschwister eine Villa am Starnberger See zur Zuflucht für Lebensmüde gestalten und betreiben, so die Bedingung. Voller Skrupel, doch auch gierig auf das Erbe, öffnen die drei das Haus für immer mehr „Finalisten“. Die unterschiedlichsten Menschen besuchen die Ludwigshöhe, doch kommt keine rechte Untergangsstimmung auf. Im Gegenteil: die Villa erlebt ein Fest des Lebens.
Einst gingen der Vater und die Brüder gemeinsam fischen, das Rauschen des Wehrs hinter der Gaststätte, in der sie gelebt haben, hat die Kindheit der Brüder mit Phantasien belebt. Aber der Vater ist tot. Und der ältere Bruder ist dabei, den Verstand zu verlieren. Der jüngere Bruder kehrt zurück an den Ort der Kindheit, steht im Fluss, angelt und lässt das Leben des Bruders, sein eigenes, das der Familie Revue passieren.
Dieser Roman wächst ganz aus der Landschaft heraus, in der angesiedelt ist. Das Rauschen ist das eines Wehrs an einem Fluss in der Eifel. Die Hauptfiguren sind zwei Brüder, ein Untergeher und ein Heimkehrer, aber auch die Fische und das Wasser des Flusses. Ein konzentrierter, unheimlicher, dichter Roman, der nicht zuletzt wegen der eindringlichen Landschaftsbeschreibung auf die Shortlist gehört.
Richard Kraft, Rhetorikprofessor in Tübingen, unglücklich verheiratet und finanziell gebeutelt, hat womöglich einen Ausweg aus seiner Misere gefunden. Sein alter Weggefährte István, Professor an der Stanford University, lädt ihn zur Teilnahme an einer wissenschaftlichen Preisfrage ins Silicon Valley ein. In Anlehnung an Leibniz' Antwort auf die Theodizeefrage soll Kraft in einem 18-minütigen Vortrag begründen, weshalb alles, was ist, gut ist, und wir es dennoch verbessern können. Für die beste Antwort sind eine Million Dollar ausgelobt. Damit könnte Kraft sich von seiner anspruchsvollen Frau endlich freikaufen … Komisch und böse erzählt Jonas Lüscher in diesem Roman von einem Mann, der vor den Trümmern seines Lebens steht, und von einer zu jedem Tabubruch bereiten Machtelite, die scheinbar nichts und niemand aufhalten kann.
Der Architekt Paul Neuhaus, frisch verlassen, erhält eine Einladung von seinen alten Freunden Ken-Ichi und Mitsuko. Der Bürgermeister eines Dorfes nahe beim Unglücksmeiler von Fukushima, Mitsukos Onkel, bittet Neuhaus, ihn zu besuchen. Die Gegend ist verstrahlt, die Dörfer sind verlassen, die kontaminierte Erde ist abgetragen. Die Regierung wünscht die Rückbesiedlung, aber die Menschen haben Angst. Der Bürgermeister will Neuhaus für eine Künstlerkolonie gewinnen – in der verstrahlten Zone –, um neue Hoffnung zu wecken. Neuhaus reist mit Mitsuko an und sie geraten in eine unentrinnbar intensive Nähe zueinander. Ist in der schönen, verseuchten Landschaft Fukushimas eine Zukunft möglich wie auch in der Liebe zwischen Paul und Mitsuko? Sie beide begleitet die Lektüre Adalbert Stifters. So wie dort die geheimnisvolle Kette von Ursache und Wirkung die Bereiche des Lebens gleichermaßen verknüpft, so stellt die unheilvolle Kettenreaktion im Atommeiler in Fukushima nicht nur die Japaner vor die Frage, was diese Katastrophe über uns alle sagt. Sind wir im Zentrum der Gefahr nicht näher an unserer Wahrheit und an der unserer Gegenwart?
Januar 1944: Egidius Arimond, ein frühzeitig aus dem Schuldienst entlassener Latein- und Geschichtslehrer, schwebt wegen seiner Frauengeschichten, seiner Epilepsie, aber vor allem wegen seiner waghalsigen Versuche, Juden in präparierten Bienenstöcken ins besetzte Belgien zu retten, in höchster Gefahr. Gleichzeitig kreisen über der Eifel britische und amerikanische Bomber. Arimonds Situation wird nahezu ausweglos, als er keine Medikamente mehr bekommt, er ein Verhältnis mit der Frau des Kreisleiters beginnt und schließlich bei der Gestapo denunziert wird. Mit großer Intensität erzählt Norbert Scheuer in "Winterbienen" einfühlsam, präzise und spannend von einer Welt, die geprägt ist von Zerstörung und dem Wunsch nach einer friedlichen Zukunft.
Der Handlung liegen fiktive Tagebuchaufzeichnungen aus den Kriegsjahren 1944/45 zugrunde, die angeblich Egidius Arimond, ehemaliger Lehrer, Bienenzüchter, Frauenheld und Epileptiker, hinterlassen hat. Präzise und spannend entwickelt Norbert Scheuer die Geschichte seines Antihelden, der Juden in Bienenkörben über die belgische Grenze schmuggelt, um damit Geld für seine Medikamente zu verdienen, und also nicht aus hehren Gründen, aber auf seine Art dem Regime die Stirn bietet. Egidius wird Zeitzeuge und Chronist einer durch Bombenangriffe versehrten Landschaft und der damit verbundenen Zerstörung natürlicher und menschlicher Ordnung. Und das geschieht auf eine fast verhaltene Weise, die den introvertierten Egidius dann doch zu einem "Helden" werden lässt, der sich seinem Schicksal nicht entziehen kann.
Sommer 1969. Während auf den Straßen gegen den Vietnamkrieg protestiert wird, fiebert der elfjährige Tobias am Stadtrand von Köln der ersten Mondlandung entgegen. Zugleich trübt sich die harmonische Ehe seiner Eltern ein. Seine Mutter fühlt sich eingeengt, und als im Nachbarhaus ein linkes, engagiertes Ehepaar einzieht, beschleunigen sich die Dinge. Tobias‘ eher konservative Eltern freunden sich mit den neuen Nachbarn an, und deren dreizehnjährige Tochter Rosa eigenwillig und klug, bringt ihm nicht nur Popmusik und Literatur bei, sondern auch Berührungen und Gefühle, die fast so spannend sind wie die Raumfahrt. Auch die Eltern der beiden verbringen viel Zeit miteinander, zwischen den Paaren entwickelt sich eine wechselseitige Anziehung – Wahlverwandtschaften am Rhein. Und während Armstrong und Aldrin sich auf das Betreten des Mondes vorbereiten, erleben Tobias und seine Mutter beide eine erotische Initiation … Ulrich Woelk erzählt von einem Aufbruch, persönlich und politisch, der tragisch endet.
Es ist das letzte Mal, dass Richard Sparka mit seiner Familie ins geliebte Kindheitsparadies Schmogrow im Oderbruch fährt. Nach dem Tod der Tatziets, die jahrzehntelang das Haus und den Garten, das Dorf und die Umgebung zu einem Ferienidyll und Hort des richtigen Lebens gemacht haben, wird das Haus abgerissen und das Grundstück verkauft. In Erinnerungen und Erkundigungen forscht Richard dem Glück Schmogrows nach und entdeckt, dass Vieles in dem naturnahen Selbstversorger-Paradies auch dunkle Züge trägt.