Ceremony October 14th 2024
Ceremony October 14th 2024
Eine Dame im Rollstuhl fordert ihren ehemaligen Liebhaber auf, den Don Juan der Nachbarschaft zu spielen; eine Kassiererin wird zur Prostituierten; ein Verlagslektor verliebt sich in einen Kellner; und Wally hat nur zwei Nächte ihres Lebens mit einem Mann verbracht. Die Figuren rücken in dieser Geschichte mit ihren Ängsten und Niederlagen immer dichter zusammen, und ahnen nicht, dass eine von ihnen zur Mörderin wird.
Der junge Marinefunker Sebastian Stichnote liegt mit seinem Schiff vor der Küste Albaniens. Aus der Enge der Giesinger Gerberei seiner Brüder hat ihn das Fernweh hinaus auf See und zur vielstimmigen Funktechnik gezogen. Diese gibt ihm das Gefühl, mit dem ganzen Kosmos in Kontakt zu stehen. Als der Erste Weltkrieg beginnt, muss die unterlegene deutsche Flotte durchs Mittelmeer nach Konstantinopel fliehen. Stichnote hat es nach den ersten Seegefechten eilig, sein Schiff so schnell wie möglich zu verlassen und schließt sich als Funkoffizier einer geheimen Expedition nach Kabul an. Am Ende hängt der Erfolg der Expedition von Stichnote ab, der mit allem brechen muss, was ihm einst heilig war.
Als der deutsche Frankenstein-Experte Jörg Krippen auf dem Campus seiner neuen Londoner Universität umherirrt, hilft ihm die junge Stammzellenforscherin Mae sich zu orientieren. Die Begegnung wirkt zufällig, tatsächlich hat sie diese bewusst provoziert. Kurz darauf führt Mae ein Wiedersehen herbei, um eine Affäre mit dem deutlich älteren Mann zu beginnen. Zugleich scheint sie sonderbar viel über ihn zu wissen. Im Londoner East End hat niemand auf den Literaturwissenschaftler Jörg Krippen aus Berlin gewartet. Die Kleidung vom Nieselregen durchweicht sucht er nach einer Klingel, als eine junge Frau indischer Abstammung ihn anspricht: "You look so lost". Sie selbst ist in Brixton aufgewachsen und forscht im Bereich neuer Reproduktionstechnologien. Krippen verliebt sich rasch und heftig – und belügt sie, was seine Familie und seine linke politische Vergangenheit betrifft. Auch sie ist nicht ehrlich und verschweigt, dass sie vor Jahren als Austauschschülerin in Berlin war. Es entspannt sich eine leidenschaftliche Liebesgeschichte, wie sie beide in der Intensität zuvor nicht erlebt haben. Doch ihre ungewöhnliche Liebe wirft Fragen nach dem Verhältnis von Geistes- und Naturwissenschaft auf.
Ein Ort, der nicht gefunden werden will. Eine Gräfin, die über die Erinnerungen einer ganzen Gemeinde regiert. Ein Loch im Erdreich, das die Bewohner in die Tiefe zu reißen droht. In ihrem schwindelerregenden Debütroman geht Raphaela Edelbauer dem Verdrängen auf den Grund. Der Unfalltod ihrer Eltern stellt die hochbegabte Physikerin Ruth vor ein nahezu unlösbares Paradox. Ihre Eltern haben verfügt, im Ort ihrer Kindheit begraben zu werden, doch Groß-Einland verbirgt sich beharrlich vor den Blicken Fremder. Als Ruth endlich dort eintrifft, macht sie eine erstaunliche Entdeckung. Unter dem Ort erstreckt sich ein riesiger Hohlraum, der das Leben der Bewohner von Groß-Einland auf merkwürdige Weise zu bestimmen scheint. Überall finden sich versteckte Hinweise auf das Loch, doch keiner will darüber sprechen. Nicht einmal, als klar ist, dass die Statik des gesamten Ortes bedroht ist. Wird das Schweigen von der einflussreichen Gräfin der Gemeinde gesteuert? Und welche Rolle spielt eigentlich Ruths eigene Familiengeschichte? Je mehr Fragen sie stellt, desto vehementer bekommt Ruth den Widerstand der Bewohner zu spüren. Doch sie gräbt tiefer und ahnt bald, dass die geheimnisvollen Strukturen im Ort ohne die Geschichte des Loches nicht zu entschlüsseln sind.
"Das flüssige Land" ist ein ebenso eindrückliches wie fantastisches Debüt – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Dieser Roman führt in eine kafkaeske Topografie, in einen Ort namens Groß-Einland, der auf keiner Karte verzeichnet ist und aus dem keine Straße herausführt. Er wird von einem gigantischen, sich ständig ausdehnenden Abgrund unterhöhlt – was dazu führt, dass in dieser Welt alles ins Rutschen gerät: Gebäude, Menschen, aber auch jedes Raum- und Zeitbewusstsein. Raphaela Edelbauer schafft eine Art Super-Metapher, die auf virtuose Weise die physikalische, die psychische, die historische und auch die sprachliche Welt in ihren Abgründigkeiten verbindet. Das ist unheimlich, das ist spannend, das ist aberwitzig und kaum zu fassen – eben einfach fantastische Literatur.
Iris Wolff erzählt die bewegte Geschichte einer Familie aus dem Banat, deren Bande so eng geknüpft sind, dass sie selbst über Grenzen hinweg nicht zerreißen. Ein Roman über Menschen aus vier Generationen, der auf berückend poetische Weise Verlust und Neuanfang miteinander in Beziehung setzt. Hätten Florentine und Hannes den beiden jungen Reisenden auch dann ihre Tür geöffnet, wenn sie geahnt hätten, welche Rolle der Besuch aus der DDR im Leben der Banater Familie noch spielen wird? Hätte Samuel seinem besten Freund Oz auch dann rückhaltlos beigestanden, wenn er das Ausmaß seiner Entscheidung überblickt hätte? In "Die Unschärfe der Welt" verbinden sich die Lebenswege von sieben Personen, sieben Wahlverwandten, die sich trotz Schicksalsschlägen und räumlichen Distanzen unaufhörlich aufeinander zubewegen. So entsteht vor dem Hintergrund des zusammenbrechenden Ostblocks und der wechselvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts ein großer Roman über Freundschaft und das, was wir bereit sind, für das Glück eines anderen aufzugeben. Kunstvoll und höchst präzise lotet Iris Wolff die Möglichkeiten und Grenzen von Sprache und Erinnerung aus – und von jenen Bildern, die sich andere von uns machen.
August 1962, in der niedersächsischen Provinz: Seit Jahren richtet Gerda Derking die Toten des Dorfes her, doch dann steht Wilhelm Leeb vor ihrer Tür. Wilhelm, der Gerda vor so vielen Jahren sitzen ließ, um sich die Tochter von Bauer Kruse mit der hohen Mitgift zu sichern. Der als überzeugter Nazi in den Krieg zog und erst nach Jahren der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Nun zeichnet sich auf seinem Gesicht ein Schmerz ab, der über das Erträgliche hinausgeht. Gerda ahnt: Dieser Tragödie sind die Leebs ohne sie nicht gewachsen.
Wien, Zentrum der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, steht Kopf. Noch sechsunddreißig Stunden, dann läuft das deutsche Ultimatum ab. Die Stadt ist ein reißender Strom, in allen Straßen bricht sich die Kriegsbegeisterung der jungen Generation bahn. Mitten in diesen Taumel gerät Hans, ein Pferdeknecht aus Tirol, der sich auf den Weg in die Metropole gemacht hat, um die Psychoanalytikerin Helene Cheresch aufzusuchen. Dort angekommen trifft er auf Adam, einen musisch begabten Adligen, und Klara, die sich als eine der ersten Frauen an der Universität Wien im Fach Mathematik promovieren wird. Gemeinsam verbringen die drei jungen Menschen den letzten Abend vor der Mobilmachung – in einer Stadt, die sich ihrem Zugriff mehr und mehr zu entziehen droht.
Stine kommt Mitte der 80er Jahre in einer Kleinstadt an der ostdeutschen Ostsee zur Welt. Sie ist ein Kind der Wende. Um den Systemwechsel in der DDR zu begreifen, ist sie zu jung, doch die vielschichtigen ideologischen Prägungen ihrer Familie schreiben sich in die heranwachsende Generation fort. Während ihre Verwandten die untergegangene Welt hinter einem undurchdringlichen Schweigen verstecken, brechen bei Stine Fragen auf, die sich nicht länger verdrängen lassen. Anne Rabe hat ein ebenso hellsichtiges wie aufwühlendes Buch von literarischer Wucht geschrieben. Sie geht den Verwundungen einer Generation nach, die zwischen Diktatur und Demokratie aufgewachsen ist, und fragt nach den Ursprüngen von Rassismus und Gewalt.
Anne Rabe beschreibt eine Kindheit an der ostdeutschen Peripherie, ein Aufwachsen im Chaos der Wende- und Nachwendezeit, die Eskalation der Gewalt der 1990er Jahre. Die Elterngeneration verzweifelt am Ankommen in der neuen Realität. Durch aufwendige Archivarbeit belegt Anne Rabe, wie stark das kulturelle Klima der DDR beeinflusst war von unaufgearbeiteten Kriegserfahrungen. Durch diese scharfe Analyse und eine hochemotional erzählte Familiengeschichte gelingt ihr damit ein aufrüttelnder Beitrag zu aktuellen Debatten über die Ursprünge von Gewalt und Menschenfeindlichkeit.