Cérémonie 14 Octobre 2024
Cérémonie 14 Octobre 2024
Eine junge Frau reist in den Ural, um im weltweit größten metallurgischen Kombinat ihren Vater zu besuchen, der dort als Ingenieur eine Industrieanlage errichtet. In der menschenfeindlichen Umgebung der am Reißbrett entstandenen Stadt und der schneebedeckten Ödnis kann die Vergangenheit nicht ruhen. Alte Wunden brechen auf und das Leben der jungen Frau erhält eine neue Bedeutung.
Altfried Janich findet nach der Wiedervereinigung eine Stelle im »Ostschloss«, einem heruntergekommenen Barockbau, der eine psychiatrische Anstalt beherbergt. Er nimmt seinen Patienten gegenüber die Sonnenposition ein, bietet ihnen Orientierung und spendet Trost. Als sein Freund Odilo durch einen rätselhaften Autounfall stirbt, gerät er selbst auf die Nachtseite der Dinge. Tagsüber rücken ihm die Patienten zu nahe, nachts geistert er durch die Säle. Es plagen ihn Erinnerungen, seine Familiengeschichte holt ihn ein. Bald stellt sich die Gewissheit ein, dass er aus dem Schloss nicht mehr wegkommen wird.
Sichtbar und unsichtbar zu sein, das schließt sich keineswegs aus. Altfried Janich, Psychiater in einem ostdeutschen, zur Heil- und Pflegeanstalt umfunktionierten Schloss, weiß das von Profession her. In erhellender Absicht folgt der Roman Janichs Trauerprozess um einen toten Freund und malt zugleich ein historisches Stillleben dieses Landes, in dem sich Gegenwart und Vergangenheit, Ost und West, das Schöne und das Hässliche, Realismus und Poesie bedingen und verwandeln. Was wir Wirklichkeit nennen mögen, ist einem lange nicht so bildreich, detailgenau und zugleich verzaubert entgegengetreten.
Gilbert Silvester, Privatdozent und Bartforscher, steht unter Schock. Letzte Nacht hat er geträumt, dass seine Frau ihn betrügt. In einer absurden Kurzschlusshandlung verlässt er sie, steigt ins erstbeste Flugzeug und reist nach Japan, um Abstand zu gewinnen. Dort fallen ihm die Reisebeschreibungen des klassischen Dichters Bashō in die Hände, und plötzlich hat er ein Ziel: Wie die alten Wandermönche möchte auch er den Mond über den Kieferninseln sehen. Aber noch vor dem Start trifft er auf den Studenten Yosa, der mit einer ganz anderen Reiselektüre unterwegs ist, dem Complete Manual of Suicide.
Mit der Intensität eines Haikus setzt Marion Poschmann ein unvergessliches Figurenpaar in die literarische Landschaft. Wie die beiden mit Matsuo Bashō und Selbstmordanleitung den Großstadttrubel und mythische Gefilde durchstreifen, ist pure Lesefreude! Der Roman ist eine Lebenswanderung, in der zwei konträre Charaktere mit gegensätzlichen Zielen ihr Selbst entfalten und ihrer Berufung entgegenlaufen. Jedes augenscheinlich noch so unbedeutende Detail wird Poesie. Poschmanns Perspektivwechsel zwischen Weitwinkel und Zoom, der inneren und der äußeren Welt erzeugen Tempo und subtile Spannung. Mit der Wanderung auf Bashōs Spuren schlägt sie eine Brücke über die Zeiten. Gekonnt, erfrischend locker, tiefenscharf.